Dienstag, 7. September 2021

Hintergrund





Hier findet ihr eine große Anzahl in vielen Jahren geschriebener Kurzgeschichten und Gedichte ... mal gediegen, mal selbstironisch, mal humorvoll, mal ernst, mal liebevoll oder auch mal rätselhaft und wunderlich. Oft auch märchenhaft oder wie ein Gleichnis. Trost spendend.

Ich schreibe intuitiv ... ohne Plan ... manchmal nachts, wenn ich nicht schlafen kann und meistens bin ich hinterher überrascht, was da aus der Feder geflossen ist. 

Schaut selbst und nehmt ein wenig Muße mit ... 




Über die Liebe im Alter



Die Liebe im Alltag

Er hieß Hans Hansen oder Peter Petersen, ich weiß nicht mehr so genau, es ist schon so lange her. Jedenfalls erinnere ich mich aber daran, wie er war. Da war so eine Art an ihm, die mich bis in Herz rührte. Dieses Aufmerksame, dieser Blick, mit dem er mich, manchmal unvermittelt aus heiterem Himmel, ansah. Dann war er so ganz und voll da, so schien mir, so ganz dicht da. Ich spürte ihn nur in seinem Blick, ja, nur in diesem seinem Blick. Und dann, ich weiß noch, wir standen, glaube ich, im Flur am Fenster, die milde Spätnachmittagssonne schien schon etwas golden um die Ecke, nahm er so sachte meinen Arm und hakte sich unter und wir betrachteten den Abendhimmel. Ja, alt waren wir schon geworden, ja, der Lack schon längst ab. Jeder mit seinen Gebrechlichkeiten, jeder mit seinen Eigenheiten.
Dann dieser unvergleichliche Klang seiner Stimme. Manchmal genügten zwei Worte und alles war wieder da. ALLES. Als wär nie etwas dazwischen gewesen. Dieser liebevolle, weiche Klang … voller Melodien, die ich im Inneren erahnte. Ein Mensch, aus der Asche eines unglaublichen und unerbittlichen Schicksals wieder entstiegen und alles, aber auch alles in Gold und Edelsteine und tiefe Menschlichkeit gewandelt. Ein Guter. So voller Verständnis für die Schwächen eines jeden, ja, er selbst ... der Schwächste unter ihnen. Damals.
Oder dies. Ich glaube, ich stand in der Küche, es war so eine Bauernküche mit blaugrün lasierten Holzmöbeln, ein wenig an Skandinavien erinnernd und wärmte mir noch einen Teller Suppe vom Vortag auf. Er kam zur Tür herein, der Staub klebte noch an den Ärmeln seines alten abgewetzten Wollpullovers. Was er eigentlich wollte? Ich weiß nicht mehr. Jedenfalls ging er so ganz dicht an  mir vorbei, streichelte nur einmal ganz leicht mit seinen Händen über meinen Arm, sah mich schelmisch an und verschwand wieder. Was alles in diesem Blick steckte! Vielleicht die Erinnerung an unsere letzte Nacht, vielleicht die Vorfreude auf einen Klamauk, den er plante, um mich zu überraschen. Ich war ja immer so gutgläubig und nahm damals alles für bare Münze. Mir konnte man ja das Blaue vom Himmel erzählen, ich fiel auf alles herein.
Nun, so gab es immer und überall so kleine liebevolle Aufmerksamkeiten, die das Leben so heiter machten. So wieder heiter. So erträglich. So wieder erträglich. So weich. So wieder weich.
Ich hatte doch immer nur gearbeitet. Immer nur alles weggearbeitet. Jeden Schmerz, jede Niederlage und jede Schmach. Aber er … ER … hatte mich wieder weichgemacht. Damals … ist schon lange her.




Eine feine und leise Liebe im Alter

Sie lebten in einer ganz kleinen Hütte im Einklang miteinander. Waren leise. Sprachen ihre eigene Sprache. Man spürte den Frieden. Sie taten nur kleine Dinge. Er war für den Abwasch zuständig, sie für das Kochen. Er brachte die Mülleimer raus, sie putzte. Er las ihr aus der Zeitung vor, sie strickte. Er lag auf dem Sofa und hörte Musik, sie las Biografien. Er machte einen kleinen Rundgang, sie auch. Sie bastelte drinnen herum, er klüterte draußen. Sie fand immer vierblättrige Kleeblätter, er nicht. Er bestellte immer etwas aus dem Katalog (elektrischer Eierkocher zum Beispiel, der dann aber doch nicht benutzt wurde), sie fuhr ins große Kaufhaus und probierte Kostüme an und tat so, als wenn sich alles nur um sie drehen würde. Er sang Lieder und hatte eine wunderbare Stimme und sie spielte schief auf ihrem Instrument. Er war ein sturer Bock und sie ne rassige Alte mit saftigem Humor. Und es war einfach wunderbar, mittags zu ihnen zu kommen und die Pfannkuchen in viel Butter gebacken zu verspeisen. Ja, es war so gemütlich bei den beiden, weil sie so gut miteinander leben konnten und man über sie sagte: „Also, die beiden genügten ja sich selbst. Die brauchten ja eigentlich gar keine anderen Menschen. Deren Liebe war wirklich groß!“ Natürlich brauchten auch diese beiden andere. Den Postboten zum Beipiel oder den Kaufmann. Damals gab es ja noch keine Biosupermärkte oder das Internet, über das man den ganzen Papierabfall sparen konnte. Vielmehr aber auch nicht. Doch alle ANDEREN kamen immer so gern zu ihnen. 




Die zwei Alten auf der Bank

Sie entdeckte die beiden ganz ZUFÄLLIG. Saßen da auf der Bank und schauten in die Weite. Worte waren überflüssig. Es war alles gesagt. Hundertfach. Ein Hund kam vorbei und setzte sich zu ihnen, bettelte um Aufmerksamkeit und schaute die beiden mit schiefgestelltem Kopf an. Die Frau nahm etwas aus der Tasche und gab es dem Hund. Tauben flogen vorbei, alle grau. Und ein Spatz pickte die Reste von Krümeln auf und flog vondannen. Das Herbstlaub hatte sich schon verfärbt und fiel sachte zu Boden. Eigentlich ganz idyllisch.
Der Mann nahm eine Thermosflasche mit Tee und goss einen Becher voll ein … für sie und für ihn selbst. Sie nahm den Becher und trank einen Schluck und blickte auf den Hund. Die STILLE war greifbar.
Doch nun schwenkte die Kamera herum und fing alles andere auf. Baumaschinen, LKWs, schreiende Männer, ratternde Geräte, hupende Pkws, eine Mutter, die nach ihrem Kind rief, grölende Jugendliche, offensichtlich betrunken, fremde Sprachen, keifende Alte, ein knatterndes Motorrad und die Straßenbahn, die kreuzte.
Er machte die Thermosflasche wieder zu und bot ihr ein Stück Schokolade an. Schaute auf den Hund, der sich zu ihren Füßen niedergelegt hatte. Ein Entenpaar watschelte vorbei und pickte die letzten Krümel auf. Die Frau legte die Hand auf den Arm des Mannes und verweilte dort. Lächelte. Schien sich an irgendetwas zu erinnern. Der Mann sah sie an, runzelte die Stirn, als frage er sie, worüber sie denn so lächelte. Da sagte sie nur:
"Du alter BOCK!"
Und plötzlich brachen beide in schallendes Gelächter aus, dass den schreienden Kindern, den grölenden Jugendlichen und den keifenden Alten vor Schreck die Kinnlade herunterfiel und ihnen kein Laut mehr über ihre Lippen kam.







Und plötzlich Lutz

Er haute sie komplett aus den Socken. Sah zwar noch immer so aus wie sie ihn auch erinnerte, doch war das Bild verschwommen gewesen und eine Berührung auf der Haut konnte man auch durch den Telefonhörer nicht wirklich fühlen. Dass ein paar Falten dazugekommen waren, nun, das fiel kaum auf. Und wie manche alternden Männer immer grau und grauer wurden innerlich, war Lutz genau dies nicht passiert.
Viola sehnte sich nach reinen, leuchtenden und sauberen Farben. Nach einer Beziehung mit Gefühl, nach Berührung und Nähe. Wie, wusste sie auch nicht, das war noch eher diffus. Nun aber war er da und plötzlich wurde das körperlich und unberechenbar männlich. Ein wenig wild. Da hieß es aufpassen und den Boden unter den Füßen nicht verlieren. Und da sie sich am sichersten fühlte, wenn sie dann HINTERHER schwärmen konnte, wie extrem wahnsinnig erotisch die Berührung hinten im Nacken gewesen war, als er mal eben kurz zart drüberstrich, war sie nun blöd dran. Denn er war ja wieder weg. Ja wirklich, elektrisch war es gewesen und eigentlich hätte sie schnurren mögen wie ne Katze, der man über's Fell streicht. Doch das verbot sie sich. Da fiel ihr wieder diese kleine Szene ein.
Stellen Sie sich einfach einen kleinen Provinz-Strand irgendwo an der Ostsee vor und wie eine Frau von einem Mann aufgefordert wird, mal eben über seine Beine auf seine Schultern zu klettern und dann irgendwann dort oben mit dem Kopf in luftiger Höhe von gefühlten vier Metern freihändig zu stehen. So geschehen und Viola staunte nicht schlecht, dass sie sich das noch traute nach so langer Zeit. Ja, damals vor dreißig Jahren, da hatten sie das auch getan. Trainiert für eine sehr besondere Theater-Aufführung. Er der Theater-Direktor und irgendwo gab es noch so ein sehr süßes Schwarz-Weiß-Foto von ihr mit Locken-Perücke, Clowns-Nase und gestreiftem Shirt. Jedenfalls stand sie nach langem Zögern dann da oben aufrecht und breitete die Arme wie Flügel aus und die umherliegenden Strandgänger schauten wohlwollend applaudierend zu. Ja … doch … war schon schön, mal wieder so etwas zu erleben. Wann erlebte Frau das schon mit Mitte Fünfzig, dass ein Mann ihr sagte: „Los, hopp, komm auf meine Schultern!“
So vieles bei ihr war noch mit kleinen Schrecken verbunden. Oh Gott, er fasst meinen Fuß. Oh Gott, er riecht an meiner Sandale. Oh Gott, er schnuppert in meinem Nacken. Oh Gott, er umarmt mich. Oh Gott, er ist so animalisch. Wusste er denn nicht, dass sie unberührt war seit langer Zeit? Sicherheitsabstand mindestens ein Meter. Ein wenig spröde die Kleine und wie das gekommen war, wusste sie auch nicht. Schlechte Erfahrungen vielleicht mit Menschen, die die Grenze nicht hatten wahren können.
Sie kennen das sicher … nach langen Entbehrungen hauen Sie schon die kleinsten Erfreulichkeiten um. Und so stellen Sie sich das bitte auch vor mit der kleinen zarten Berührung hinten bei ihr im Nacken. Ja? Können Sie das? Mehr muss manchmal gar nicht. Reicht schon, dies Kleine. Glauben Sie mir.
Alles andere, die Fahrradtour, der Besuch auf dem Hof, die Heimat und das Sein am Wasser gehörte mit zu den erfreulichen und nicht selbstverständlichen Erlebnissen. Denn das kannte sie auch anders und wie oft hätte sie am liebsten gesagt: „Halt doch einfach mal die Klappe!“
Umarme mich einmal wieder, mein Freund, es war wunderbar dort am See mit dir auf diesem Stein. Und auch, wenn ich dir vieles nicht sagte, so tat ich es doch nun.



Wie fängt man eine Ziege?

Susanne war ja eine Frau. Zweifellos. Und eine Ziege. Zweifelsohne. Liebenswürdig schon, aber eben zickig zumeist.
Doch wie ließen sich Ziegen nun im Allgemeinen einfangen? Hier ein paar Tricks:

Nr. 1: Sag ihr, dass du sie liebst.
Nr. 2: sieht aus wie Trick Nr. 1.
Nr. 3: besteht darin, sich eine samtweiche Stimme anzulegen. 
Nr. 4: Tu so, als wenn du die Frau ernst nimmst! 
Nr. 5: Trete dem Fan-Club dieser Frau bei und vermittel ihr das Gefühl, dass du alles an ihr toll findest. Akzeptiere jeden Fehler, schau über offensichtliche Schwächen großzügig hinweg und ignoriere unüberwindliche Differenzen konsequent.
Nr. 6: Sag ihr, dass du auf sie scharf bist und das schon seit längerem, obwohl du es ihr noch nicht gestanden hast.
Nr. 7: Bring sie zum Lachen, sodass ihr bescheidenes Leben sich nicht mehr so bescheiden anfühlt.
Nr. 8: Sei geistreich, erzähle ihr tolle Geschichten und tu so, als wenn dich Poesie brennend interessiert.
Nr. 9: Reagiere schlagfertig auf all ihre Zickereien, überrasche sie, sei immer wieder anders und vermittle ihr das Gefühl, dass du sie bei aller Freiheit und bei der gaaanz langen Leine, die du ihr anlegst, voll im Griff hast. Und
Nr. 10: Sei ein guter Ziegenstallbauer, in dem sich Ziegen einfach rundum wohl fühlen, lege ihnen einen Lorbeerkranz um, singe ihnen schöne Lieder und gib ihnen stets nahrhaftes Futter.



Ihre zärtlichen Hände

Sie nahm immer, wenn ich die beiden während des Essens beobachtete, so zärtlich seine Hand. Da war so ein leichtes Schweben in ihrer Bewegung. In der Bewegung ihrer Hand, meine ich. Und dann führte sie diese Hand so leise und zart an seine Wange und näherte sich mit ihrem Gesicht seinem. Ein mildes Lächeln lag auf ihren Zügen und man spürte diese Wärme. Diese große Wärme  zwischen den beiden. Um die ich sie beneidete, aber das gab ich nicht zu. Und dann redete sie mit den anderen, über dies und über das und dann sah ich immer noch ihre Hand da liegen. Ihre Hand auf seinem Bein. Unter dem Tisch und kein anderer sah das so gut wie ich. Mal nahm sie seine Finger in die ihren, mal drehte sie einfach nur ihre Hand in seiner. Sie hatte schlanke und grazile Hände. Ein schmaler Ring zierte den einen der Finger. Nein, kein Ehering. Ich glaube, es war einer mit einem Edelstein. Und in dieser ihrer Hand lag so viel Demut und Weiblichkeit und Hingabe, ihm gegenüber, dass ich immer innerlich erschauderte, wenn ich dorthin sah. Mir war das zuerst auch gar nicht so bewusst, erst im Nachhinein kamen mir diese Gedanken. Die Gedanken an die zarte Liebe zwischen diesen beiden. Und ob sie das eigentlich selbst bemerkte, was sie da tat, das weiß ich auch nicht. Aber … es rührte mein Herz. Sie ist meine Schwester.  




Dich berühren

Immerzu muss ich dich berühren … immerzu. Da ist so eine Spannung zwischen uns. Wie wir da sitzen auf der Bank am Rande von allem. Wie du so nachdenklich und so ganz bei dir selbst scheinst. Ich könnte in dich hineinkriechen. Und fahre dir mit meinen Händen über die Wange. Nein, es ist nichts Großes … nein … nur ganz kurz über die Wange. Und ich spüre deinen Händedruck in meiner linken Hand. Irgendwo schweben Fetzen einer Musik, die uns lauschen lassen. Du legst den Kopf ein wenig schief und ich sehe dich im Profil und diese Sinnlichkeit, die sich da zeigt, überwältigt mich. MANN, wie ich dich begehre. Du drehst dich ein wenig um zu mir und deine Augen sprühen mich an und nein, es ist wieder nichts Besonderes. Nein, wieder nicht. Doch dieses Sprühen … ich bin vollkommen berauscht und die Welt dreht sich nur noch um uns. Nein, wir sind nicht mehr jung und alles fühlt sich ein wenig behäbiger an. Du nanntest mich „Altes Haus!“ und meintest es freundlich. Nun, was auch immer dieses “Alte Haus” auch zu bedeuten hatte, es war eben so deine Art. Die Katze lässt sich nieder und spielt mit ihrem Schwanz da so zwischen uns und deine Hände sind ein wenig rissig von der Arbeit. Scheinen sich ausruhen zu wollen. Sieh mich an, mein Freund, ich begehre dich. Sieh mich an, ich möchte allein sein mit dir. Weitab von dieser Bank da am Rande von allem. Mich an dich schmiegen wie eine Katze und einfach nur daliegen und deine Haut riechen, die wie Zimt duftet. Ja, mein Freund, du bist müde. Ja, ich weiß. Doch lass mich noch ne kleine Weile hier sitzen … mit dir ... zu lange schon entbehrte ich dich. Ich fahre dir mit meinen Händen über die Stirn und hauche dir einen Kuss auf deine Wange. Du, der du so littest … lass fahren deine Sorgen dahin … lass dich nieder bei mir und vergrabe deinen Kummer. Und so drehe ich mich noch einmal um zu dir, um mich so innig mit dir zu fühlen. So nicht mehr allein. So viele Jahre, die wir warteten und nur du weißt, wie alles war. Vom Anfang bis zum Ende. Also lass mich nun zu dir und meine weichen Lippen zart an deine drücken. Ich suhle mich in dir und allem, was dich ausmacht … … möchte erkunden … diesen warmen Innenraum … und lasse fahren meine Hände über deinen Körper … der auch nicht mehr der jüngste ist. Wir wissen, ja, mein Freund … wir wissen. Schrammen auf beiden Seiten. Kratzer. Narben. Spuren. Bitte, geh noch nicht. Nur noch eine kleine Weile. Ja, ich weiß … ich weiß doch. Du brauchst mir nichts zu sagen. Gut … dann gehe ich jetzt. GEHE. Gehe. G e h e und g…..e…..h…..e



Bauer sucht Frau

„Nö, ham wir nich. Musst du woanders suchen. Moin, Hannes. Was sosst du ham?“
„N’Fund Kaffee! Is aus bei uns!“
„Bitte! Und Sie, junge Frau, was solln Sie ham?“
„Äh, tschuldigung, ich suche den Einsiedlerhof in Koogsbüllkrog. Ich komme aus Stadtvierteleck, ich kenne mich hier nicht aus. Können Sie mir helfen?“
„Was woll’n Sie denn in Koogsbüllhof? Da is doch nix los für sone Frau wie Sie. Da wohnt doch blos Sönke!“
„Ja, genau, den suche ich, kennen Sie den? Ist ja super. Ist irgendwie cool hier! Abgefahrn!“
„Hä, was mein Sie, ich versteh Sie nich. Also, was woll'n Sie denn von Sönke?“
„Ich habe doch mitgemacht bei Bauer sucht Frau und suche den Hof, weil ich mich da vorstellen soll!“
„Also, mit Ihrn Klamotten könn Sie aber nich inn Stall! Da lauf’n ja die Kühe wech!“
„Gefalle ich Ihnen etwa nicht. Bei uns in der Stadt ist das ganz normal. Da kann man anziehn, was man will!“
„Nee, hier muss das praktisch sein.“
Ich gehe völlig abgeturnt raus aus dem Laden und fahre wieder Richtung Stadtvierteleck, das hatte ich mir dann doch etwas anders vorgestellt.

Da tauchte plötzlich wieder so ein verschwommenes Bild in ihr auf. Es war damals gewesen, schon lange her, sie wohnte mal wieder in sehr schrammeligen Verhältnissen. Erbärmlich, karg, provisorisch und improvisiert. Gut ging es ihr nicht, beileibe nicht. Sie lebte ihr kleines und armseliges Leben voller Kleinmut. Befand sich ständig zwischen Wahnsinn und Getriebenheit und wieder Rückzug und war in Wirklichkeit einfach nur innerlich zerrissen. Das Hamsterrad der ständig in ihrem Kopf gleichförmig hin- und herrasenden Gedanken, die doch immer nur um die gleichen Dinge kreisten, spielte sein eigens Spiel und sie wurde nicht Herr darüber. Von Gleichmut keine Spur, Gelassenheit sowieso nicht. Er, nennen wir ihn Hauke, irgendwo entfernt. Hatte seinen eigenen Wahnsinn. Das wusste sie. Andere Männer, andere Frauen, immer das gleiche Theater, das, wenn man dann genügend Distanz und Humor bewahrte, vielleicht eher einer tragischen Komödie glich als einem Schwank aus dem Ohnsorg-Theater. Nun, eines Tages, sie vertrieb sich wahrscheinlich die Zeit mal wieder mit nutzlosem Zeugs, das vielleicht liebevoll Weibergewäsch genannt werden konnte, aber in Wirklichkeit nur als ein Ausharren bezeichnet werden musste, klingelte es an der Tür. Sie war nicht allein, daran erinnerte sie sich noch und auch nicht besonders gut auf Hauke zu sprechen zu der Zeit. Dieser ganze Wahnsinn, sie hatte ihn so satt. Einfach nur satt und wollte ihre Ruhe. Sie machte also die Tür auf und da stand er da so vor ihr. Man sah ihm die Überwindung, die es ihn gekostet hatte, schon von weitem an. Was sollte sie sagen? Ihn hereinbitten? Unentschlossen, sich nur halb überwinden könnend, bat sie ihn halbherzig in ihre Hütte. Er, gehetzt wirkend, die kalte Herbstluft von der Fahrt zu ihr noch abstrahlend, wirkte genauso unsicher und trat dann aber dennoch ein in die gute Stube. So ging das Gespräch im Smalltalk-Stil so hin und her, als … irgendwann … sie wusste nicht mehr so genau, wann, er sich innerlich aufrichtete und ihr in die Augen sah und meinte: „Ich will dich!“


Wonne

Süßer Sex am Nachmittag
Sonnenschein leuchtet neben ihr
Die Katze räkelt sich voller Wonne
Die Musik umturtelt alle beide
Dabei in seine blauen Augen seh’n
Die Ozeanen gleich
Zeigen so allerlei,
Was nicht von dieser Erde


Vereinigung

Erfüllung aller Wünsche
Tanzen mit den Göttern
Das Ganze mit ihm zu vereinen
Tanz für zwei Liebende
Musik umhüllendes Paar
Dazu Engelscharen
Und Lichter in ihr Haar
Erst, wenn sie ganz eng vereint
Wird Wärme kommen
Und sie trösten an allen Tagen



Lieben

Zitternde Wellen
Überrollen mich
Pechschwarze Wolken verziehen sich
Und ich öffne mich dir
Was landet ist schön
Was brandet ist neu
Was rollt, ist innen
Kerzengerade stehen wir
Inmitten des Treibens da draußen
Oder bewegen uns rhythmisch
Das Fließen ermutigt uns
Es rollt so gemütlich hier
Es ist so ein Zuhause in mir
Wandelnde Formen, die da entstehen
Und zauberhafte Feen, die uns einhüllen.

Montag, 4. Januar 2016


Eleusius und Lorena

Wenn man schon Eleusius heißen muss, wen verwundert es, dass man ein besonderes Exemplar Mensch wird. Nun, Eleusius aus Oberlandau war so eines. Ein wenig wirr im Kopf und zerstreut stets das vergessend, was eigentlich gerade wichtig gewesen. Schien draußen die Sonne, vergrub er sich in seiner Studierstube und tauchte erst bei Nacht wieder auf. Regnete es draußen und war stürmisch, machte er eine lange Wanderung. Ja, man kann sagen, Eleusius war nicht wirklich lebenstauglich und seine Nachbarn guckten auch schon mal komisch. Eines Tages aber, Eleusius saß im Nieselregen im Garten und dachte nach, tauchte ein kleines Mädchen auf mit zerlumpten Kleidern am Leib. Eleusius passte das gar nicht, denn er wollte in Ruhe draußen sitzen im Nieselregen und so vor sich hinsinnieren. Das Mädchen aber, sie hieß Lorena, kümmerte sich nicht darum und stapfte mutig auf ihn zu: DU, es regnet doch draußen, warum sitzt du da?“
Eleusius sah das Mädchen an und dachte nicht daran, ihm eine Antwort zu geben. Was kümmerte ihn dieses Mädchen? Er wollte seine Ruhe und nichts als das. Doch das kleine Mädchen Lorena war nicht auf den Kopf gefallen und dazu nicht ängstlich, denn sie hatte in ihrem kurzen Leben schon so allerlei erlebt.
Ich hab dich was gefragt! Wieso sagst du nichts?“
Weil ich dazu absolut keine Lust habe und mir Mädchen wie du entsetzlich auf die Nerven gehen. Hast du mich verstanden? Also, schleich dich!“, sagte er, drehte sich demonstrativ um und blickte in die andere Richtung. Lorena aber dachte gar nicht daran, ihn in Ruhe zu lassen.
DUU, wieso bist du so unfreundlich zu mir. Hast du schlechte Laune?“
Ich sagte, lass mich in Ruhe, es geht dich einen feuchten Kehrdreck an, ob ich schlechte Laune habe oder nicht. Ich will hier sitzen und nachdenken. Und nun Schluss!“
Das mache ich auch immer ... nachdenken. Aber ich bekomme davon keine schlechte Laune so wie du. Wenn ich nachdenke, dann füttere ich die Gänse dabei oder kehre den Hof! Machst du das gar nicht so? Musst du dabei immer bei Regen in deinem Garten sitzen? Komm doch mal mit mir, ich will dir was zeigen!“
Und weil Eleusius genug hatte von diesem Geplapper, stand er einfach auf und folgte ihr. Sie wanderten über Berg und Tal und gelangten schließlich an ein großes Gewässer. Der Wind wehte frisch und der Regen hatte sich inzwischen verzogen. Die Sicht war klar und das Mädchen sang Eleusius ein kleines Lied vor. Und ... wer hätte es gedacht ... Eleusius summte leise mit. Und ... wie konnte es geschehen ... auf einmal wusste er die Lösung auf ein Problem!

So, liebe Leut, bedenkt: Bei Regen im Garten zu sitzen und nachzudenken führt zu gar nichts. Hört auf kleine Mädchen, bewegt euch, atmet tief durch, singt und schaut in die Welt. Lasst euch den frischen Wind um die Ohren wehen und wartet geduldig auf eine Antwort.


Emil, der weise Wanderer

Emil war ein alter Mann und trug einen langen Mantel, den er nie auszog. Er ging langsam und hatte immer bei sich einen langen Stock, mit dem er sich auf seinem Weg vortastete. Emil besaß gütige Augen, ein faltiges Gesicht, einen weißen Bart und bis auf die Schultern fallende weiße Haare. Seine Haltung war ein wenig gebückt und seine Beine nicht mehr die stärksten. So ging er vorsichtig und machte einen kleinen Schritt nach dem anderen. Er trachtete nicht danach, der Schnellste zu sein, nein, so etwas kam bei ihm nicht vor. Er war bedächtig und vorsichtig und fühlte den Himmel und die Wolken über sich. Er fühlte sie so sehr, dass er den Himmel und die Wolken sogar in sich fühlte. Ja, so war er. Und da gab es Regen und Nebel, klare Sicht und Weite, aber auch große Dunkelheit. Doch immer behielt er seinen Mantel an und führte den Stab mit sich. Manchmal nahm er auch eine Laterne, die ihm den Weg leuchtete, mit auf seine Wanderung. Dies vor allem bei der großen Dunkelheit, die sich immer wieder zeigte. Doch der alte Mann war sich sicher, dass er den Weg finden würde.
Wohin er wanderte, fragt ihr? Nun, das wusste er selbst auch nicht so genau. Das war aber auch nicht wichtig, denn er war vertrauensvoll und demütig und wusste, dass sein Mantel ihn schützen, die Laterne den Weg weisen und der lange Stab ihn stützen würden.
So zog er des Weges tagein und -aus und einjeder, der ihm begegnete, verneigte sich vor ihm. Es war so eine Stille um ihn und das schien die Menschen anzuziehen. Und es war so eine Weite um ihn und jeder fragte sich, wo diese herrührte? Aber da Emil, der alte Mann, stets schweigsam war, blieb ihnen nichts anderes übrig, als geduldig in sich zu horchen, ob da vielleicht diese Weite und diese Stille auch in ihnen. Und dies, liebe Leute, war ganz im Sinne von Emil, dem weisen Wanderer. 


Emilia und Hanibal

Das Schaf Emilia war ein dummes Schaf. Es hatte zwar viele schöne Locken, war aber eben einfach dumm. Ich fühle mich ein wenig unwohl einfach zu behaupten, dass das Schaf Emilia dumm war, aber so war es nun einmal. Ihr Leben war klein und unbedeutend. Doch eines Tages sollte sich dies ändern. Schon am frühen Morgen öffnete der Bauer das große Gatter und ein stattlicher Ziegenbock wurde hereingeführt. Emilia vergaß, weiterzukauen. Welche Pracht! Gewaltige Hörner, mächtige Glocken, ein langer Schwanz. Emilia starrte den Bock fasziniert an. Dieser aber stellte sich ungerührt vor die versammelte Schafherde und verkündete mit stolzgeschwellter Brust:
Ich heiße Hanibal und ihr seid ab sofort meine Untertanen. ICH bestimme und ihr gehorcht. Kapiert?! Also los. Du da, dummes Schaf, sag, wie du heißt!“
Emilia hauchte:
Ich heiße Emilia!“
Gut, dann komm her, ich will auf dich steigen!“
Wow, das nennt sich aber mal zielgerichtet. Der wusste, was er wollte. Emilia fühle sich geehrt. Aber plötzlich fiel ihr ein, dass sie ja ein Schaf war. Ein schön gelocktes dazu, wohlgemerkt, aber immerhin ein Schaf und keine Ziege. Und da sprang sie hervor und blieb vor Hanibal stehen und verkündete:
Hanibal, lass dir gesagt sein, ich bin zwar nur ein dummes Schaf mit Locken, aber ich habe keine Lust, dass du auf mich steigst! Kapiert?!“
Als sie das verkündet hatte, bekam sie Schluckauf vor Schreck, ließ es sich aber nicht anmerken. Und schaute einfach weiter dumm aus der Wäsche. Hanibal jedoch war über so viel Dreistigkeit so erstaunt, dass er erst einmal kräftig furzte. Igitt, was für ein Gestank. Emilia war so dermaßen angewidert, dass sie ihrerseits erst einmal rülpste und so standen sie beide da in ihrem Gestank und wussten nicht weiter. Jesses, wann hatte es das gegeben. Der Bauer kam und trennte die beiden und Hanibal musste in den Stall in eine kleine, enge Box. Tja, Hanibal, das hast du nun davon. Einer Dame mit schönen Locken, wenn auch dumm, und auch noch von anderer Rasse, begegnet man eben mit mehr Höflichkeit. Bedenke dies in Zukunft, stolzer Bock, es könnte nützlich sein!




Amina und der alte Mann mit dem Spaten

Amina ging den schmalen Steig entlang und sah schon von weitem, wie der alte Mann sich über seinen Spaten beugte und den ersten Stich tat. Er sah sie nicht. Er sah überhaupt nichts, wie es schien. Außer den Spaten, mit dem er in die Erde stach. Amina ging weiter und blickte auf diesen Mann, der da so bedächtig seinem Tagwerk nachging. Ja, Bedächtigkeit und Ruhe waren das, was er ausstrahlte.
Sie wählte einen kleinen Umweg, um noch einmal zu sinnieren über das, was sie ihm erzählen wollte. Doch ein Vogel hoch oben im Wipfel eines Baumes schmetterte so voller Inbrunst sein großes Lied, dass Amina alles wieder vergaß und nur horchte. Es war ein schlichtes, aber großes Lied, dass der Vogel dort oben sang.
Amina ging weiter. Und als sie durch die Gartenpforte trat, sah sie, dass der alte Mann mit seiner Arbeit schon ein gutes Stück weitergekommen war und die Erde nun fett und schwarz glänzte. Nichts als ungeteilte Aufmerksamkeit für diese Erde schien in ihm zu sein. Amina wurde still und setzte sich auf eine kleine verwitterte Bank, die am Lattenzaun angenagelt war. Schon grün war sie im Laufe der Jahre geworden, ein wenig schief und auch fehlte schon ein Stück an einem Brett. Und wie Amina so dasaß und dem alten Mann zusah, überkam sie ein Gefühl. Doch dieses Gefühl war so sehr INNEN, dass sie nicht darüber sprechen konnte. Vielleicht würde ihr eine Träne herauslaufen. Vielleicht würde sie einfach nur tiefer atmen oder aber beginnen zu lachen. Sie wusste es nicht. So blieb sie einfach auf der grün verwitterten Bank sitzen und beobachtete den alten Mann bei seiner Arbeit und horchte auf den hellen Gesang aus den Baumwipfeln.




Bertrine und der Schatten

Und wieder war ein Tag vergangen und Bertrine ging des Abend noch einmal über den Hof, um nachzusehen, ob das Vieh auch gut versorgt. Der Mond schien über das Anwesen und so konnte sie ruhigen Schrittes ihre Runde drehen. Ein Schatten aber zog ihre Aufmerksamkeit auf sich und ihre Nackenhaare begannen sich zu sträuben. Wer versteckte sich da im Gebüsch? War es jemand, der sie zu überfallen trachtete? Unwillkürlich zog sie ihre Jacke enger um sich und sah zu, dass sie wieder ins warme und hell erleuchtete Haus kam. Plötzlich knackten Zweige und aufgeregte Vögel flogen aufgescheucht fort. Bertine spürte eine Gänsehaut über den Rücken ziehen und begann zu laufen. Mit keuchendem Atem erreichte sie ihr Haus und schloss ganz fest die Tür hinter sich. Dreimal den Schlüssel im Schloss gedreht und im ganzen Haus die Vorhänge zugezogen, das Licht ausgeschaltet und dann durch einen Spalt der Gardinen nach draußen gespäht, was sich dort tat. Vorsichtshalber die Schrotflinte aus dem Gewehrschrank geholt und griffbereit in der Nähe abgelegt. Wer war dort draußen und was wollte er? Wusste er, dass sie allein zu Hause war? Dachte er, bei ihr gäbe es etwas zu holen? Sie war alt und besaß keine irdischen Schätze. Sie spähte und spähte und da! Was war da? Da war der Schatten wieder. Puh, ihr ward ganz kalt ums Herz und alles in ihr zog sich zusammen. Jetzt kam der Schatten auch noch auf das Haus zugesprungen und sie hörte die Tür knarren. Mein Gott, was wollte der? Was sollte sie nur tun? Lautlos schlich sie zur Tür und verharrte dort. Und da, wieder etwas. Ein Kratzen. Immer wieder! Sie nahm ihr Gewehr und stellte sich in Position, bereit für den ersten Schuss. Auf einmal aber ertönte ein leises: „Miau!“ und wieder kratzten Pfoten an der Tür. Bertine musste laut lachen über sich selbst und machte die Tür weit auf. Wer also kam da hereinstolziert? Meister Jakob war es. Schnurstraks lief er zu seinem Platz hinter dem warmen Ofen, machte es sich dort gemütlich und alles war wieder in Butter. Ja, so sind die Frauenzimmer! Sich aufregen da, wo nicht nötig und das Gewehr schon im Anschlag, wo einfach nur die Tür zu öffnen. 

Wladimir und das Warten

Etwas sollte sich ändern im Leben Wladimirs, aber er wusste nicht, was. So wartete er, wartete und wartete und hoffte auf den großen Wandel, auf den großen Gewinn oder auf das plötzliche Auftauchen seiner Traumfrau. Aber Gott, auf den er auch hoffte, blieb still. So war er voll des Ärgers, dass er nicht das bekam, worauf er so sehnsuchtsvoll wartete. Warum, verflucht, dauerte das Warten so lange? Ein Tag, noch ein Tag und noch ein weiterer. Es kam Wladimir so vor, als wenn sein gesamtes Leben nur noch aus dem Warten bestand. So saß er da in seiner Stube in seinem Sessel und wartete und wartete und wartete. Und nichts geschah. Tag für Tag rein gar nichts. Es wurde Herbst, es wurde Winter. Es wurde wieder Frühling und auch Sommer. Er saß und saß und eines Tages aber sprang er plötzlich auf aus seinem Sessel und begab sich vor die Tür und verkündete den verdutzten Nachbarn: „Meine Freunde, ich bin des Wartens überdrüssig, ich bin des Sitzens müde. So mache ich mich nun auf und warte nicht mehr. So erhebe ich mich aus meinem Sessel und sehe dann, was sich ereignet. Es ist ein Großes, ich weiß. Ich zittere ein wenig, ihr seht. Aber ich denke: Verwarte nicht dein ganzes Leben!“
Und so ging Wladimir hinaus und knechtete tagein und tagaus. Nie gönnte er sich eine Rast, unermüdlich rackerte und ackerte er vor sich hin. Sicher, dass sich sein Leben nun gewandelt, meinte er glücklich werden zu müssen. Doch, oh Weh, er wurde es nicht. Im Gegenteil, seine Unzufriedenheit schien sich zu vergrößern, so sehr er auch wütete und schuftete. Da schmiss er den Spaten hinfort, stopfte sich seine Pfeife und begann zu sinnieren. Was machte er da nur? Was war richtig, was war falsch?
Plötzlich wurde er gewahr, dass in seiner Nähe friedlich ein Esel graste, den er doch wahrhaftig ganz übersehen hatte. Schön war er anzusehen und Wladimir dachte bei sich:
Was warst du selbst doch für ein Esel! Die Lösung liegt doch auf der Hand!“
Er nahm daher einen langen Strick und band ihn dem Esel vorsichtig um den Hals. Dieser aber war geduldig und ganz anders, als man gemeinhin von ihm dachte. Er führte Wladimir fort und setzte dabei vorsichtig Huf vor Huf. Abgründe erkannte er, schmale Pfade fand er, Lichtungen suchte er und Berghänge erklomm er. Nichts schien ihn zu fürchten. So folge der alte Mann dem Esel auf seinen Wegen und setzte sich auch schon mal auf den Rücken und ließ sich für eine Weile tragen. Saß weniger bequem als in seinem Sessel, doch schien ihm gerade dies ganz recht. Von Tag zu Tag erwartete ihn eine andere Aussicht und er erkannte, dass es gerade das war, was er sich so sehr ersehnt und was ihm schmerzlich gefehlt. Sich führen zu lassen und in Bewegung zu sein und den Wandel zu spüren und selbst aber auch Schritte zu gehen.

Eines Tages dann kam er an einen Ort, wo sein Herr zu ihm sprach und sagte: „Wladimir, es ist gut. Wladimir setze dich. Wladimir, HÖRE! Wladimir, ICH BIN DA!“ 

Als die Lotusblüten ihre Knospen zeigten

Wer weiß wohl, wie mir zumute ist? Jetzt, nachdem dies alles vollbracht! Es war ein Stück des Weges, das beileibe nicht einfach gewesen. Aber die Sterne kündeten schon vorher, dass eine Wende in Sicht. Dennoch, mein Gebieter sah nicht nach mir, lange Zeit. Und so fror ich entsetzlich. Wie dem auch sei, nun ist alles rundum anders geworden und nur der hellsichtige Elanus sah dies vorher. Ich glaubte ihm und das war meine Rettung. Wir brauchen doch alle Hoffnung, die begründet, nicht wahr? Oh, die Götter wussten, was wohl für uns ist und ich danke ihnen für ihre Hilfe. Glaubt mir, ohne sie, wir wären verloren. Doch als alles anders zu werden begann, wurde mein Herz wieder froh und die Farben rundum klarten auf. Mein Seelenleben begann sich wieder zu regen und eingefrorene Gefühle belebten sich neu. Die Winterzeit war eine lange und frostige gewesen und der Frühling ließ lange auf sich warten. Die Lotusblüten zeigen ihre ersten zarten Knospen, doch schon lässt sich erahnen, was darin verborgen. Ich heiße euch willkommen und zudem bin ich von Licht durchtränkt. Mein Lachen schallt durch die Gemäuer und dies belebt auch die anderen dieses Hofes. 


Eins mit den Rindern

Persilee war so etwa 5 Jahre alt und wohnte in einer mittelalterlichen Stadt mit grauen Häusern an einem Hang. Die Häuser waren in einem Kreis angeordnet, die Straßen hatten noch Kopfsteinpflaster und die Häuser standen dicht gedrängt aneinander. Nun geschah in dieser Stadt nicht besonders viel, das Leben verlief ruhig plätschernd vor sich hin. Doch eines Tages kam ein Fremder in diese Stadt und brachte frischen Wind in die geschlossene Gemeinschaft. Er war weit gereist und suchte einen Rastplatz zum Übernachten, um sich auszuruhen für ein paar Tage. Persilee aber war ein neugieriges Kind und brannte darauf, Neues zu erfahren. Also hielt sie sich immer in der Nähe dieses Fremden auf, sicher geschützt durch eine Hecke, hinter der sie nicht gleich zu entdecken war. Um den Fremden scharrte sich stets eine kleine Gruppe von Bewohnern, die ebenso begierig waren, seine Geschichten zu hören. Und an einem dieser Tage hörte Persilee eine spannende Geschichte, die sie ihr ganzes Leben begleiten sollte:
Hört ihr Leute, da, wo ich herkomme, da ist das Leben ganz anders. Da, wo ich herkomme, scheint die Sonne von früh bis spät und die Menschen verkriechen sich am Mittag in ihren Hütten, weil sie es leid sind, so heiß beschienen zu werden. Aber hier bei euch, da verehrt man die Sonne und kriecht aus den Häusern, sobald sie erscheint. Ihr könnt euch also vorstellen, wie weit ich gereist bin und das alles zu Fuß. Es ist schon eine Weile her, da kam ich durch ein breites Flussbett und eine kleine Horde wilder Kühe begleitete mich. So war ich nicht allein und in guter Gesellschaft. Milch hatte ich genug zum Trinken und warme Leiber, um mich an ihnen zu wärmen. Zutraulich waren sie alle und sogar die kleinen Kälber waren immer in der Nähe. Ihr werdet es nicht verstehen, aber ich fühlte mich völlig eins mit mir und ihnen und diese Art von Gesellschaft war mir allemal lieber als manche, die ich unter Menschen erlebte. Kein unnötiges Geschwätz, keine leeren Worte, nein, ich war unter meinesgleichen. Für euch mag sich dies vielleicht seltsam anhören und ihr seid es gewohnt, euch anders unter den Rindern zu bewegen, aber bedenkt, da, wo ich herkomme, scheint den ganzen Tag die Sonne und verkriechen sich die Menschen in ihren Hütten, wenn es ihnen zu heiß wird und dieses Land, in dem ihr lebt, ist weit weit weg von dem Leben, das ich lebte.“
So war die Geschichte, die Persilee hörte und sich wünschte, sie hätte auch solch innige Freundschaft mit einem Tier. Und tatsächlich sollte sie in ihrem ganzen Leben danach trachten, so eine Beziehung zu den Tieren zu finden. Ja, so war das.


Unschuldige Liebe

Aimee war in dem Jahr, in der diese Geschichte spielt, noch sehr klein, aber der Nachbarsjunge liebte sie auch schon damals. Nur, dass sie so dünne lange Beine hatte, das störte ihn mächtig. Sie trug kariert zu der Zeit und die Röcke waren kurz. Aber sexy, fand Joldan, war was anderes. Jedenfalls hatte sein Vater ihm das gesagt und was er selbst fand, wusste er noch nicht. Aber wie sie immer in den Apfelbaum stieg und er von unten ihr Höschen sehen konnte, das fand er toll. Aimee wusste das wohl auch, aber sie sprachen natürlich nie darüber. Das verstand sich von selbst. Sie waren ja noch klein und hatten keine Ahnung von derlei Dingen. Später änderte sich das dann, aber da war die Unschuld schon den Bach runter und solche Kleinigkeiten nicht mehr der Rede wert.


Freitag, 14. August 2015


Wie sah Godot eigentlich aus?

Da hockte Minna also wie immer auf ihrer Treppe und wartete auf Godot. Hockte und hockte, zu keiner Regung mehr fähig. Saß da einfach und wartete. Es war lausig kalt. Sie fror entsetzlich. Während Minna also fror und auf Godot wartete, fragte sie sich, wie er denn eigentlich aussähe. Immerhin musste sie ihn doch erkennen können, wenn er plötzlich vor ihr stünde. War er groß und bärtig, gebeugt von der Schwere seines ganzen Lebens? In sich gekehrt, an einem fernen Ort die Überschau behaltend? Schwer zugänglich? War Godot vielleicht sportlich und mochte Fußball? Wollte er erobert werden? War Godot erotisch oder spielte derartig Profanes gar keine Rolle? Oder hatte er vielleicht italienisches Temperament und begehrte sie mit voller Leidenschaft?
Und wo fand Minna ihn? Würde sie ihn zufällig treffen? Am Strand, beim Fußball, auf der Straße, beim Tanzen, bei der Arbeit? Stand er vor ihrer Tür, rief an oder schrieb eine Mail? Musste sie ihm vielleicht selbst schreiben? Oder irgendwo einen Antrag stellen? Konnte man ihn buchen? Wohnte er hinter den Wolken?
Ach, am besten, sie kümmerte sich erst einmal um sich selbst! Zum Glück schien ja gerade die Sonne mit voller Kraft und sie konnte sich wieder wärmen. Von wegen Trübsal blasen. Nee, bloß das nicht. Das Leben bot doch viel zu viele Abenteuer, um sich zu verkriechen und einen auf Trauerkloß zu machen. Nicht wahr, versteht ihr doch. So beschloss sie also, weiter die Treppe nach oben zu steigen. Nie all diejenigen vergessend, denen es wahrlich schlechter erging als ihr. Denn sie war ja nur ne ganz kleine Lachnummer, die einfach nur fror und wartete.


Marta
Es begann damit, dass Marta, die ein sehr verschlossen Wesen besaß und den letzten Heller dafür verwettet hätte, dass es unsichtbare Wesen gar nicht gibt, krank wurde. Ich meine richtig krank. So krank, dass es praktisch keine Aussicht auf Genesung mehr gab. Es handelte sich um die Syphilis, ein Erbe ihres Gatten, denn er betrog sie und das nicht nur einmal. Zwar säuselte er ihr süße Wörter ins Ohr, doch hintenherum betrog er sie nach Strich und Faden. Der Mann taugte nichts! Kein Wort, das er aussprach und sich daran hielt. Nun war Marta also krank geworden und alles in ihrem Heim lag danieder. Die Kinder mussten irgendwie allein klarkommen und auf ihren Mann war sowieso kein Verlass. Nun gut. Es war Winter und ihre Hütte kalt. Der Ofen rauchte vom feuchten Holz und wollte nicht so recht Wärme abgeben. Die Kinder froren, weinten und der Hunger nagte an ihnen. Marta war schwach und lag unter einer dicken Bettdecke. Am liebsten wäre sie gestorben. Ihr Lebensmut war erloschen und sie wusste nicht, wie sich die Flamme wieder entzünden ließe.
Da klopfte es an die Tür … sie zu schwach, um selbst aufzustehen und dem, der da geklopft hatte, aufzumachen, schickte eine Tochter an die Tür. Als diese vorsichtig einen Spalt weit öffnete, sah sie jedoch niemanden dort stehen. Hatte sie sich getäuscht? Hatte da keiner geklopft? Doch da war es wieder. Das Klopfen, das sie hörte. Laut und deutlich. Ihre Tochter, an die Tür geschickt, sah wieder niemanden, der hineinwünschte. Marta dachte: „Na, jetzt habe ich schon Halluzinationen, es wird mit mir zu Ende gehen!“
Doch da erschien vor ihrem Bett eine Gestalt in einem hellen Gewand und grüßte sie mit einem Lächeln und beugte sich hinab zu ihr: „Marta, du Weib Jesses, ich bin gekommen, dir zu helfen und sage nun: Du wirst diese Krankheit überstehen, so wahr ich hier vor dir stehe! Es werden drei Nächte vergehen und du wirst von deinem Krankenlager auferstehen. Ja, so sei es!“
Na, das ist der Beweis! Ich habe Erscheinungen, mein Ende naht!“, dachte sie und ließ sich erschöpft in die Kissen zurückfallen.
Du wirst es nun wahrscheinlich nicht glauben, doch so geschah es! Am dritten Tage ging es Marta wieder so gut, dass sie, sich langsam aufrichtend, das Bett verlassen konnte. Wie konnte das geschehen, fragst du mich. Wer war es, der da ihr erschien? So denke selbst nach! Den Namen aussprechen werde ich niemals tun, doch du wirst wissen, wen ich meine. Und damit wünsche ich dir einen schönen Tag!


Minula und der Zwerg, der immer größer wurde

Als Minula noch sehr jung war, verliebte sie sich in einen Jungen, der der Familie der Zwergwüchsigen angehörte. Ich wusste schon im Voraus, dass sie es sich damit nicht leicht machen würde. Und besonders wunderte es mich, dass sie in ihrer Verliebtheit es nicht einmal zu bemerken schien, dass er kleinwüchsig war. Sie beide waren leidenschaftliche Menschen und ihre Herzen schwangen miteinander. Es war ein sehr inniges Verhältnis und Minulas Verblendetsein war in einem Maße ausgeprägt, dass sie die Realitäten nur noch verschoben wahrnehmen konnte. Doch eines Tages kamen seine Verwandten zu Besuch und da sah sie, dass sie allesamt weniger als einen halben Meter groß waren. Aber als auch das sie nicht zu stören schien und alle gleichsam freundlich behandelte, kam es, dass der Mann, mit dem sie so eine leidenschaftliche Verbindung pflegte, anscheinend über sich selbst hinauswuchs und groß und größer wurde, sodass Minula endlich auf gleicher Augenhöhe mit ihm kommunizieren konnte. Das war für mich ein Wunder, wie selbst ich es nur selten erlebe.


Die Engelszungensprecherin

Es war einmal eine sehr weise Frau, die mit Engelszungen sprechen konnte. Sie hatte zwei Töchter, die sie liebevoll aufzog und die ihr ein Quell der Freude waren. Nun begab es sich aber zu der Zeit, dass die eine Tochter sich danach sehnte, in die Welt hinaus zu gehen. Oh weh, die weise Frau bangte um sie und ihr reines Herz. So sprach sie ein stilles Gebet und danach mit Engelszungen zu ihrer Tochter:
Tochter, meine Geliebte. Du wünscht, in die Welt hinauszuziehen. Ich verstehe dein Begehr und bin zu folgendem Schluss gekommen. Um dich zu schützen vor so allerlei Getier, dass da draußen dir nach deinem unschuldigen Wesen trachtet, werde ich dir einen güldenen Mantel mitgeben, der dich behüten möge in all deinen Tagen. Sei getrost, du bist behütet, was auch immer dir geschehen möge!“
So sprach sie und ließ ihre Tochter gehen.
Es begab sich aber, dass die zweite Tochter sie aufsuchte und Folgendes sprach:
Verehrte Mutter, ich bin nun alt genug, um mich von dir zu verabschieden. Ich möchte hinauf auf den Berg. Dort gibt es ein Kloster und ich wünsche mir nichts sehnlicher, als auf diesen Berg hinauf zu wandern und in dieses Kloster einzutreten!“
O weh, die weise Frau betrachtete ihre geliebte zweite Tochter und verlor ein paar heimliche Tränen, denn wie sollte sie ihr erzählen, dass in ihrem Leben noch etwas anderes wartete als das Leben in Abgeschiedenheit und Verzicht? So sprach sie ein leises Gebet und danach mit Engelszungen zu ihrer zweiten Tochter:
Geliebte Tochter, wie du ganz recht meinst, ist es ein wunderbares Ziel, sich fernzuhalten von so allerlei gefährlichen Verlockungen, die dort draußen in der Welt lauern. Doch bedenke, meine Liebste, dass es auch anderes gibt, das da draußen auf dich wartet. So werde ich dir einen silbernen Mantel mitgeben, der dich beschützen möge vor übermäßiger Angst und Scheu vor dem Leben in der Welt da draußen. Sei getrost, du bist behütet, was auch immer dir geschehen möge.“


Das Wunder vom Marktplatz

Wunder gibt es immer wieder … heißt es in einem Lied und ich möchte dir heute von so einem Wunder erzählen. Du glaubst, es gibt keine? Das ist falsch. Es gibt sie und viele Menschen übersehen sie in der Hektik ihres Lebens. Das ist sehr schade. Nun möchte ich dir aber von einem Wunder erzählen, dass Amina vor langer Zeit geschehen ist.
Sie war schon lange getrennt von ihrem Liebsten und zwischen ihnen gab einen Streit, den sie noch nicht wieder beigelegt hatten und sie konnte sich auch nicht vorstellen, wie dieser jemals wieder beiseite geschoben werden könnte.
Eines Tages, Amina hatte ihre Zeit verbracht mit so allerlei Geschäftsangelegenheiten und nur Zahlen in ihrem Kopf, ging sie Erholung suchend durch die Straßen ihrer kleinen Stadt und suchte nach Zerstreuung, nicht wissend, wie diese zu bekommen. Da … plötzlich ... erschien vor ihren müden Augen das Gesicht eines Weibes und versperrte ihr mit seiner kleinen, aber energischen Gestalt ihren Weg. Dieses Weib sprach Amina an und sie konnte nicht anders, als ihm ein paar Minuten ihrer kostbaren Zeit zu schenken. Das Weib war eine weise Frau. Wenn auch gekleidet in die Gewänder einer Zigeunerin, die um Almosen bettelte. So sprach diese:
Dir wird heute ein großes Glück geschehen! Darf ich dazu aus deiner Hand lesen und dir weissagen, um welches Glück es sich handelt und welches dich heilen wird?“
Amina, zutiefst getroffen von den Worten dieser weisen Frau, brach in Tränen aus und folgte ihr in eine dunkle Seitengasse, wo sie in Ruhe ihr nahendes Glück beschrieben bekommen wollte.
Nun versteckte sich aber in dieser weisen Frau zugleich auch eine Diebin, die einzig nach dem Geld von Amina trachtete und mit so allerlei Zauberei versuchte, sie zu betören. Doch Amina erkannte den bösen Blick und hatte auch dazu keinen einzigen Heller in ihrem Geldbeutel. Als Amina dies dem Weib erklärte und sich auch nicht von so allerlei kunstvollen Versuchen, sie zu hintergehen, beeindrucken ließ, ging das Weib seines Weges und Amina setze auch ihren Gang über den Marktplatz fort.
Doch … schon nach wenigen Metern, sie fühlte sich noch immer wie in einem denkwürdigen Traum gefangen, erschien vor ihrem Blick das Gesicht eines Mannes, der sie anlächelte und begrüßte und es dauerte einige Momente, bis sie erkannte, um wen es sich handelte. Dort saß ihr Liebster, ihr großes Glück, der Mann, der dort eigentlich gar nicht sitzen konnte, weil er viele viele Meilen entfernt sein eigenes Leben lebte und kaum je in die Nähe ihres kam. Doch wie er dort trotzdem saß, ein heißes Getränk in den Händen haltend, konnte sie nicht anders, als ihn ebenfalls anlächeln und aller Ärger wart vergessen. Alle bösen Worte fielen ihr nicht mehr ein und ihre ganze sorgsam gehütete Abwehr brach in eins in sich zusammen. Nur eines vermochte sie noch und dies mit ganzem Herzen. Sich freuen, ihren Liebsten dort sitzen zu sehen und sich zu ihm zu gesellen und ihm zu lauschen bei den Erzählungen von seinen Reisen, die ihn um die ganze Welt gebracht. Nur zweimal kurz erinnerte sie sich des Giftes, das sie geschmeckt in den langen und kalten Nächten des Winters, nur kurz kam die Erinnerung an all den Streit. In den anderen Momenten konnte sie einfach dort mit ihm sitzen und die Wärme und die Sonnenstrahlen und den Frieden genießen. Eine Brücke wart gebaut worden und nur mit Gottes Hilfe war dies möglich geworden. Allein hätte sie es nicht geschafft. Und aus lauter Dankbarkeit nahm sie sein Gesicht in ihre Hände und gab ihm einen weichen Kuss auf die Wange seines von ihr geliebten Gesichts. Dann trennten sich ihre Wege wieder und schon am nächsten Morgen wart ihr, als hätte sie geträumt.


Die Frau mit nur einem Kleid

Ich erzähle dir nun eine Geschichte von einer Frau, die sehr arm war und nur ein Kleid besaß.
Diese Frau hieß Einima. Sie lebte weit weit von hier entfernt ein einfaches und karges Leben in einer Hütte und in dieser befand sich nur ein wenig Stroh. Zum Glück war es in diesem Land sehr warm, sie brauchte nicht zu frieren. Einima lebte in dieser Hütte allein und hatte keine Arbeit, kein Geld und keine Familie. Traurig, nicht wahr? Das war ein sehr trauriges Leben, das diese Frau lebte. Könntest du jetzt denken. Doch diese Frau, die nur eine kleine Hütte mit Stroh besaß, empfand das gar nicht so, denn hungern musste sie nicht. Sie bekam von ihren Nachbarn jeden Tag einen Napf voll Getreidebrei, frischer Kuhmilch und Obst sowie Gemüse aus den angrenzenden Gärten. Dafür war sie sehr dankbar. Ja, du fragst dich aber, warum diese Frau nicht traurig war? Das ist ganz einfach zu erklären. Einima war einfach und mit einfachen Dingen des Lebens zufrieden. Sie haderte nicht mit den Lebensschlägen, die sie bekam, sie konnte diese annehmen und daraus lernen. Sie hatte so viel eigentlich, was ihres war, fand sie und wähnte sich glücklich, wenn jemand sie besuchen kam und einen Rat von ihr wünschte. Sie wurde jeden Morgen von der Sonne geweckt und schätzte sich glücklich deshalb. Sie brauchte keine großen Truhen mit Kleidern aus Seide und Samt, sie trug eine einfache Kutte und das reichte ihr. Ja, so war Einima. Kaum zu glauben für dich, nicht wahr? Doch so war das. Diese Frau war innerlich reich und allein das zählte für sie. Und dieser Schatz wurde nicht weniger, je mehr sie von ihm nahm, dieser Schatz wurde größer, je mehr sie davon ausgab.


Nefertu träumt

Heute, meine Liebe, möchte ich dir etwas von einer Frau erzählen, die vor sehr langer Zeit lebte. Diese Frau, Nefertu genannt, träumte eines Tages und sprach am Morgen zu ihrem Mann: „Mein geliebter Ehemann, heute Nacht träumte mir etwas Sonderbares und ich weiß nun nicht, ob es ein Traum oder kein Traum war. Mir ist so, als wenn alles wahr wäre und dennoch kann ich es nicht glauben. Was liegt vor?“
Ja, so kann es gehen, meine Teure! Ich werde es dir erklären! Manchmal im Leben träumen wir des Nachts von Geschehnissen, die anderntags tatsächlich passieren. Dies geschieht viel häufiger, als du dir vielleicht vorstellen kannst, doch oft erinnern wir uns nicht an die Träume. Dies liegt daran, dass wir ihnen keine große Bedeutung beimessen, dabei sollten wir es doch tun. Nicht umsonst gibt es hier bei uns am Hof einen Traumdeuter, der aus den Träumen die Zukunft ablesen kann, was für unser Leben von enormer Bedeutung ist. Wenn nun also so ein Traum sich des Tages aber verwirklicht, ist er von noch größerer Bedeutung. Du solltest, Nefertu, so einen Traum keinesfalls missachten und sehr sorgsam mit ihm umgehen. Die Götter wollen dir damit etwas mitteilen und dich in deiner Seele erschüttern. Damit soll alles, was sich als störend erweist in deinem Leben, mit einem Ruck von dir gelöst werden. Je größer die Erschütterung, desto fremder die Nachricht, doch desto wichtiger auch. Hast du mich verstanden? Es handelt sich immer um eine wichtige Nachricht aus der Götterwelt und du solltest sehr sorgsam mit ihr umgehen. Hüte deine Zunge und erzähle nicht in unwürdiger Weise von diesen Erlebnissen.“
Ich danke dir, geliebter Ehemann, meine Lippen sind versiegelt und kein falsches Wort wird nach draußen gelangen!“


Tralutar und Nemusar

Vor langer Zeit lebte eine Frau, die alle Welt Tralutar nannte. Auch wenn sich dieser Name jetzt für dich komisch anhört, wurde sie nun einmal so genannt. Ihr wahrer Name war ein anderer, doch das hatten ihre Mitmenschen schon lange vergessen. Tralutar war reich und mächtig, lebte in einem großen Haus, nannte Diener ihr eigen, führte einen großen Hausstand und besaß aber keine Kinder. Dies hatte Tralutar hart gemacht. Sie war bitter und schalt Gott für seine Ungerechtigkeit. Tralutar wurde in ihrer Umgebung nicht geliebt. Nein, die Menschen fürchteten sie sogar, denn so manches Mal mussten sie unter der wilden Fuchtel Tralutars leiden. Und dabei ging es ihnen in mancherlei Hinsicht viel schlechter als ihr. Doch all das sah Tralutar nicht. Sie hielt sich für das ärmste Wesen auf Erden und bemitleidete sich von früh bis spät.
So geschah es eines Tages, dass ein großes Unglück über die Gemeinde kam. Dürre und Hagel und Blitz und Donner. Die Ernte war verloren, die Ernährung im Winter bedroht. Tralutar war untröstlich. Hatte sie nicht schon genug zu tragen? Nun auch noch dieses!
Doch oh Wunder, es geschah, dass sie eines Besseren belehrt werden sollte. Eines Tages fand sich ein ehrbarer Mann aus der Gemeinde bei ihr ein und erzählte ihr zur großen Überraschung, dass alle Mitglieder beschlossen hatten zusammenzulegen, um Tralutar zu helfen. So überbrachte man ihr einen großen Kübel mit Getreide und damit war ihre Ernährung im Winter gerettet.
Dies aber beschämte Tralutar so sehr, dass sie wieder weich werden konnte. Hatten doch die anderen viel weniger zu essen als sie und war der Hausstand der anderen bei weitem nicht so groß wie ihrer und doch machten sie ihr ein derart großzügiges Geschenk. So erinnerte sich Tralutar urplötzlich ihres wahren Namens und ließ sich fortan wieder Nemusar nennen. Und das klang doch bei weitem nicht so hart, fand ein jeder, der sie kannte.


Die ungleichen Schwestern

Es waren einmal zwei sehr ungleiche Schwestern. Beide nicht mehr ganz jung an Jahren, doch noch immer die eine schön und die andere apart. Es begab sich aber zu der Zeit, dass die schöne Schwester heiraten wollte und dies allen kundtat. Die aparte Schester vernahm die Kunde und grämte sich sehr. Wie konnte es sein, dass alles im Leben ihrer schönen Schwester zu gelingen schien und in ihrem eigenen Leben nicht. Wie konnte es sein, dass ihre schöne Schwester in einem großen Haus wohnen durfte, einen sie liebenden Ehemann an ihrer Seite wähnte, weite Reisen, die sie über die ganze Erde führte, unternahm, einen wunderbaren Garten ihr eigen nennen konnte und durch Arbeit ein sicheres Leben verbringen durfte. Auch Kinder hatte sie geboren und die Künste waren ihr nicht fremd. Alles in allem ein so schönes Leben, um das die aparte Schwester sie beneidete.
Lass dir gesagt sein, du apartes Wesen, es ist nicht alles Gold, was glänzt. Diese Weisheit ist dir wohlbekannt und du hast sie anscheinend noch immer nicht richtig verstanden.
Ist es das Goldene, das wichtig ist im Leben? Das Glänzende, das dir lebenslanges Glück beschert? Das Prächtige, das dich versöhnt? Das Schillernde, das dir Frieden gibt? Das perfekt Schöne, das dich INNERLICH satt macht? Denke nach, du apartes Wesen! Du, die innere Schönheit und Weisheit erlangt und eine große Beziehung zu den heiligen Mächten? Sag mir, was sind die wahren Schätze, die der Mensch auf Erden in seinem kurzen Leben erlangen kann? Du weißt die Antwort selbst und so begehre nicht das Gold deiner schönen Schwester. Bleibe bei DEINEN Schätzen und ehre sie.


Das Nichts

Da war das große NICHTS, das Inny seit einiger Zeit in sich spürte. Und sie wusste nicht einmal, wozu das gut war und nahm es aber mal einfach hin. Dass es da war. Dieses langweilige NICHTS. Es hatte nicht einmal ein Muster und auch keine intensive Farbe. Es war nicht aufdringlich, sondern hintergründig und schützte sich selbst durch Dezentheit und sein leises Auftreten. Es gab nicht an und provozierte auch nicht, wurde nicht laut und flüchtete, ehe es mit in die zu laute Chose hineingezogen wurde. Eigentlich wunderte Inny sich, dass sie dieses NICHTS so einfach hinnehmen konnte. Das NichtNICHTS war doch an sich viel anziehender. Es schillerte bunt und war viel in der Welt herumgekommen. Konnte unzählige Geschichten über die Welt erzählen. Inny bekam regelmäßig Kopfschmerzen von so viel Welt. Das NichtNICHTS wusste so viel. Es war ja so belesen und konnte zu allem, was gesagt wurde, einen überaus klugen Kommentar abgeben. Es war umwerfend komisch dazu. Und das NichtNICHTS hatte soviel. Inny hörte sich stundenlang diese Geschichten an, über das, was es alles hatte. Das war teuer gewesen! Oh weh! Dafür musste man viel arbeiten. Oh weh! Das war anstrengend gewesen. Oh weh!
Und sie selbst? Sie hatte nur dieses NICHTS in sich. Von dem sowieso keiner was wissen wollte. Das taugte für nicht viel. Sie bekam höchstens einen ruhigen Atem davon. Die Kopfschmerzen verklangen, die Schultern sanken und der Nacken entspannte sich.
Und was dann? Na dann hörte sie zu zuallererst die Vögel mit ihren Liedern. Und sie spürte den Wind in den Haaren. Und wie das Wasser sich kräuselte und die Wolken am Himmel Geschichten erzählten. Aber das war natürlich wenig und aber mit diesem wenigen war sie durchaus zufrieden.


Der Inder lehrt mich die wahren Werte

Pech für Sie, hier gibt es nur Notdürftiges!“, sagte der junge Inder und freute sich des Lebens. Des Lebens, das er jetzt hier führte unter uns reichen Deutschen, die voll des Neides und des Hochmuts, der Gier und des Geizes. Doch er aber lachte zu seinen Worten und entblößte seine weißen Zähne. Ich war verzaubert und stellte mich zu ihm, doch er behandelte alle gleich und ich bekam keine Eintrittskarte umsonst zu seinem Herzen. Nein, erst und das nach Jahren, als ich meine eigenen Unarten abgelegt, erreichte ich ihn und das nur auf die einfache Art. Jedes kunstvolle Herumschlingern und nicht wirklich so sein wie versprochen verhinderte den Kontakt. Dass dieser Inder mich einmal so sehr angehen würde, hatte ich auch nicht gedacht, aber so war es. Und so verlangsamte ich mein Tempo und vereinfachte den Konsum. Nahm die goldenen Schätze vom Sims und machte kräftig sauber. Erst dann und das dauerte eine ganze Weile, lächelte er auch mir zu und bekam ich eine Eintrittskarte zu seinem Herzen und wunderte mich, wie ich vorher hatte so zufrieden sein können mit nichts, was von wirklicher Bedeutung.